Multitudes

Multitudes

Im Herbst 2021 kehrte Leslie Feist erstmals nach dem Lockdown auf die Bühne zurück und gab eine Reihe von Konzerten in ausgewählten Städten auf der ganzen Welt. Bei diesen besonderen Konzerten – Multitudes genannt – präsentierte sie neues Material, das sie während der Pandemie geschrieben hatte. Es war eine Zeit, in der die kanadische Art-Pop-Autorin sich daran gewöhnte, Mutter zu sein, und gleichzeitig um ihren kürzlich verstorbenen Vater, den Künstler Harold Feist, trauerte. Die Shows begannen mit Feists Soloauftritten an der Akustikgitarre – aber es war nicht einfach eine Unplugged-Aufführung. Die Multitudes fanden in unkonventionellen Veranstaltungsorten statt und kombinierten geflüsterte Intimität mit atemberaubender Weite: Im Laufe der Sets setzte Feist nach und nach Gastmusiker:innen ein, die ihre gehauchten Hymnen zu himmelstürmenden Höhepunkten trieben. Währenddessen wurden die leeren Wände der Veranstaltungsorte zu riesigen Leinwänden für abstrakte Visuals und Live-Bilder von Kamerateams, die inkognito durch die Menge streiften. Feists sechstes Album, das den gleichen Namen wie diese Events trägt, ist keineswegs eine Wiederholung dieser Songs. „Es waren ganz unterschiedliche Projekte“, sagt Feist gegenüber Apple Music. „Im Laufe der 90 Shows haben sich die Songs verändert, und die Sammlung wurde erweitert und wieder verkleinert, weil es in der Show Songs gab, die nicht auf dem Album gelandet sind, und es gab Songs, die später auftauchten. Und dann, als wir im Studio waren, gab es unendlich viele Möglichkeiten.“ Doch auch als Album behält „Multitudes“ den subversiven Geist und das Überraschungsmoment der Konzerte bei. Einerseits enthält es das reinste und schönste Songwriting in Feists Karriere, komponiert auf einer alten Konzertgitarre, die zu ihrem bevorzugten Instrument wurde. „Vielleicht lag es an dem schlafenden Baby da drüben, aber ich sehnte mich nach der Sanftheit der Nylonsaite“, sagt sie. „Ich wollte keinen Verstärker anschließen.“ Andererseits ist das Album Feists bisher gewagteste Arbeit, deren friedliche Wiegenlieder immer wieder durch surrealistische Streicherarrangements, digital übereinander gelegte Harmonie-Loops und kathartische Schreie unterbrochen werden. Hier verrät sie, was sie zu einigen der Highlights von „Multitudes“ inspiriert hat. „In Lightning“ Ich habe versucht, meine inneren Stimmungen bewusster in Szene zu setzen. In der Vergangenheit habe ich mich sehr auf die Dunkelheit konzentriert, die ab und zu von einem Lichtblitz durchbrochen wird, der vielleicht ein Heureka-Moment oder ein Moment der Klarheit ist. Und ich habe fleißig daran gearbeitet, diese kleinen Blitze der Klarheit zu sammeln und zusammenzustellen. Vielleicht werden sie sich irgendwann zu einer Erkenntnis summieren. „Forever Before“ Es gibt einen gewissen spirituellen und emotionalen Reifeprozess, der Jahre dauert, bevor man Nachwuchs bekommt oder sich dazu entschließt, und ich würde sagen, dieser Song ist eine Art Vogelperspektive auf die Jahre, die der Entscheidung vorausgingen, es zu tun. „Love Who We Are Meant To“ Ich habe mich sehr für das Handwerk des klassischen Songschreibens interessiert, bei dem man die Autobiografie nutzt und so viel persönliches Pathos in den Song packt, ohne dass er wie ein Tagebucheintrag sein muss. Das hier ist also ein Versuch, das Ultra-Persönliche zu nehmen und es mit dem Universellen zu verbinden. „Hiding Out In The Open“ So weit, wie wir alle während des Lockdowns voneinander entfernt waren, haben wir uns seltsamerweise mehr als sonst ausgetauscht, weil wir alle mit diesem Leben konfrontiert waren, das wir uns aufgebaut hatten. Und dann befanden wir uns in diesen widerhallenden vier Wänden unserer Realität. Plötzlich wurde uns diese ultimative Intimität aufgedrängt. Ich glaube, dass mir viele Menschen, mit denen ich eng befreundet bin, eine ähnliche Geschichte erzählt haben. Es fühlte sich an, als ob viele Menschen wohl oder übel in einer Art von Feuerprobe oder Abrechnung standen. Das ist der Punkt, an dem ein Song nicht die Antwort auf ein bestimmtes Ereignis oder eine autobiografische Besonderheit ist – er kann die Zusammenfassung eines geschichtlichen Moments sein, wie ich ihn beobachtet habe. „The Redwing“ Ich glaube, ich habe versucht, mich in dem Wunsch zurechtzufinden, auf eine andere Art zu leben. Ich nehme an, es entstand dadurch, dass ich im Sommer ein Leben abseits des üblichen Rasters gefunden habe, wo ich meine Gedanken beim Erwachsenwerden sortieren kann. Ich will einfach dort sein, wo ich sein will. Ich möchte in der Hütte sein, wo die Sonne untergeht und man eine Öllaterne anzündet. Es ist ein Ort, an dem ich gelernt habe, dass ich besser auf meine Intuition hören kann. „I Took All Of My Rings Off“ Ich stellte alle konkreten Vorstellungen davon, wie mein Leben aussehen sollte, infrage. Ringe tauchen überall auf: Sie sind dekorativ, sie sind Familienkreise, sie sind die Tassen, die überschwappen, sie sind die Bindung, sie sind das Halten der Hände im Gebet. Alle Wege, die mich geprägt haben, führen irgendwie zum Kreis zurück. Und auf gewisse Weise waren meine Beziehungen das Sternbild, in dem mein Polarstern liegt. All das sollte also hinterfragt werden. Dieses ganze Album ist ein Versuch, bereit dazu zu sein, Unrecht zu haben – bereit, zu erkennen, dass ich die ganze Zeit im Unrecht war, oder dass ich es vielleicht bin. „Borrow Trouble“ Das ist eine Art Erklärung meiner Absicht, mich zu befreien. Ich meine, „borrow trouble“ ist diese Tendenz, sich unnötig Sorgen zu machen. Über die Jahre hinweg habe ich gemerkt, dass ich sehr gut darin war, eine schlimme Situation noch schlimmer zu machen. Der Schrei am Ende ist also ein spontaner Moment der Befreiung – ich kultiviere eine andere Einstellung. „Song For Sad Friends“ Wie gesagt, es gab während der Pandemie etwas, das die altmodische Kommunikation mit deinem Freundeskreis wieder aufleben ließ, wie eine Art Brieffreundschaft. Es war die Zeit, in der man irgendwie wieder Briefe schrieb. Also habe ich diesen Brief geschrieben. Dieser Song war einfach ein Brief, den ich an einem Dienstag an ein paar Freund:innen geschickt habe. Da ich die Traurigkeit von allen einzelnen kannte, konnte ich die gemeinsame Geschichte hinter diesen Sorgen erkennen, und ich schrieb ihnen einen Brief in Form eines Liedes.

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